Der lächelnde Bilderrahmen
Neben der großen Treppe im Stadtmuseum hängt ein Bilderrahmen. Er kennt mehr Geschichten, als alle Bücher zusammen - und täglich kommen neue hinzu.
Er ist aus Holz, verziert mit feinen Schnitzereien und einem Hauch von Gold. "Was für ein aufregendes Leben ich habe", denkt der Rahmen oft, wenn er die Besucher beobachtet, die an ihm vorbeigehen.
"Jeder Tag bringt neue Gesichter", murmelt er leise, während ein kleines Mädchen mit Zöpfen stehenbleibt und die Augen weit aufreißt. "Hallo, kleines Mädchen", denkt der Rahmen, "was wirst du wohl in mir sehen?"
In dem Bilderrahmen ist ein Bild zu sehen: Auf einer weiten Wiese spielen Kinder unter der strahlenden Sonne, während ein roter Papierdrache fröhlich im Wind tanzt. "Dieses Bild kenne ich schon so lange", denkt der Rahmen. "Ich habe zugesehen, wie der Künstler es mit einem Lächeln malte. Dann wurden wir zusammengefügt. Der Maler erzählte mir, dass es ihn an seine eigene Kindheit erinnert."
Viele Menschen bleiben stehen, um das Bild zu betrachten. Einige lächeln, andere wirken nachdenklich. "Jeder von ihnen sieht etwas anderes", denkt der Rahmen. "Manche sehen die Farben, andere die Geschichten dahinter."
Ein älterer Herr mit einem hölzernen Spazierstock bleibt stehen. Lange verweilt sein Blick auf dem Bild, und der Rahmen spürt, wie Erinnerungen aus einer längst vergangenen Zeit in ihm aufsteigen. "Vielleicht hat er selbst einmal einen Drachen steigen lassen", denkt der Rahmen leise. Er fühlt, wie die kleinen Freuden der Kindheit noch einmal in seinem Herzen aufleben.
Einmal kommt eine Schulklasse vorbei und die Kinder drängen sich gespannt vor das Bild. "Schaut mal, wie hoch der Drachen fliegt!", ruft ein Junge voller Begeisterung. "Ich will auch einen Drachen basteln und fliegen lassen!", antwortet ein Mädchen strahlend. "Aus buntem Papier und Stöcken!" fügt sie lachend hinzu.
Auch der Rahmen lächelt innerlich. "Es ist schön, wenn ich Freude bereite", denkt er, während er den Ideen der Kinder lauscht, die das Bild lebendig werden lassen.
Manchmal kommen Künstler, um das Bild genau zu betrachten und nachzuzeichnen. Sie wollen verstehen, wie die Farben gemischt sind und welche Techniken der Maler benutzt hat. "Ich bewundere ihre Neugier", denkt der Rahmen. "Sie sehen nicht nur das Bild, sondern auch die Kunst dahinter, wie alles zusammenspielt - so wie die Töne in einem Musikstück."
Eines Tages bemerkt der Rahmen ein junges Paar, das Hand in Hand vor ihm steht. Sie lächeln einander an, und der Rahmen spürt die Liebe, die sie verbindet. "Bestimmt träumen sie von ihrer Zukunft", denkt er. "Vielleicht sehen sie in diesem Bild die Abenteuer, die sie noch gemeinsam erleben wollen."
Der Bilderrahmen hält Gedanken fest, nicht nur die des Bildes, sondern auch die der Menschen, die es betrachten. "Jeder Blick ist wie ein neuer Pinselstrich", denkt er. "Jeder Blick hinterlässt eine Spur."
Als die Nacht hereinbricht und das Museum still wird, ruht der Rahmen. "Morgen wird ein neuer Tag sein", denkt er zufrieden. "Neue Gesichter, neue Geschichten. Ich bin bereit, sie alle willkommen zu heißen."
Der Bilderrahmen weiß, dass er nur ein kleiner Teil der großen Welt ist - und doch ist er glücklich. "Ich halte jeden Tag Erinnerungen fest und schenke Freude", flüstert er in die Dunkelheit. "Und das ist das schönste Geschenk, das ich mir wünschen kann."
